Wie die erfolgreichsten Consumer Apps ihre ersten 1.000 Nutzer gewonnen haben

Illustration with app and user icons

Die Frage wie man für die eigene, neue App schnell und effizient die ersten 1.000 Nutzer gewinnt, umtreibt jeden der eine App für Konsumenten im App Store veröffentlichen will. Es gibt zwar viele Posts und Empfehlungen zu verschiedenen Themen des App Store Marketings, zu Detailfragen des Onboardings oder auch des allgemeinen Brandings, aber welche Produktstrategien hier am erfolgreichsten sind ist erstaunlich wenig dokumentiert.

Dieser Blog Post ist inspiriert von und in Teilen übernommen aus einem spannenden englischsprachigen Blog Post von Lenny Rachitsky. Er hat gezielt recherchiert, sich mit erfolgreichen Gründern und Marketingmanagern ausgetauscht und daraus einige Erfolgskriterien abgeleitet. Zu den Apps, die er dabei genauer unter die Lupe genommen hat, zählen u.a. Tinder, Uber, Superhuman, TikTok, Product Hunt und Netflix. Keine schlechte Auswahl wie wir finden.

Dabei wird deutlich, dass insgesamt sieben verschiedene Strategien für den erfolgreichen Launch fast aller Apps verantwortlich sind. Die meisten Apps haben sich dabei auf eine der Strategien fokussiert, nur einige haben verschiedene kombiniert.

Weniger überraschend: bei allen Strategien ist es entscheidend, sich früh und intensiv mit der eigenen Zielgruppe zu beschäftigen und diese sehr klar abzugrenzen und zu definieren.

Wichtig: Bei der Betrachtung geht es ganz bewusst, um den Gewinn der ersten 1.000 treuen, wiederkehrenden Nutzer. Wachstumsstrategien, die es braucht um daraus 10.000 zu machen sehen anders aus und sollen hier nicht behandelt werden.

1. Die eigene Zielgruppe offline treffen

Um die eigene App bekannt zu machen sind viele erfolgreiche Anbieter zu Beginn ganz klassisch, physisch dahingegangen wo man die eigene Zielgruppe besonders gut trifft. An Orten an denen sich die Zielgruppe rund um die eigene Leidenschaft, rund um die eigenen Interessen zusammen findet oder aufgrund Ihrer Profession ohnehin arbeitet, studiert, verkauft oder kommuniziert. Tinder beispielsweise ist (genau wie Facebook übrigens) durch seinen Location-based-Service vor allem auf studentischen Campussen unterwegs gewesen. Studenten fanden es spannend so schnell mit anderen Singles in Kontakt zu kommen. Der Nutzen war auf diesem begrenzten “Markt” schnell verständlich.

Lyft und Uber habe Ihre Ride-Services zu erst gezielt an Start Ups kommuniziert, sowohl über direkte Ansprache als auch über lokale Aktionen in Vierteln in denen viele Start Ups sitzen. Evan Spiegel von Snapchat hat seine App, in den Anfangstagen selbst in Shopping Malls Leuten vorgestellt und so wichtiges Feedback gesammelt. Nextdoor hat sich ganz bestimmte Nachbarschaften zum Rollout ausgesucht, Etsy hat sich zuerst auf lokalen Kreativmessen vorgestellt und Pinterest hat das eigene Angebot mit Guerilla Aktionen in Apple Stores einer ersten Zielgruppe bekannt gemacht.

2. Die eigene Zielgruppe online treffen

Die Grundsatzfrage, die man sich beim Launch einer neuen App immer stellt: Wie sieht die absolute Kernzielgruppe aus und wo bzw. wann trifft man diese Gruppe aktuell online? Dies kann bspw. eine bestimmte Online-Community sein. Dropbox hat sein Angebot damals mit einem kurzen Video auf Hacker News beworben, einer Website für Entwickler und Technik-Nerds. Loom, das erfolgreiche Video-Tool hat sich zu Beginn voll auf einen erfolgreichen Start bei Producthunt fokussiert. Mit Erfolg – denn schnell waren so die ersten 3.000 Nutzer zusammen.

Das eigene Start Up mittels bestehender Online-Communities bewerben, hat auch Netflix in den frühen Tagen genutzt. Als DVD Leih-Service hat sich Netflix zu Beginn vor allem an “Hardcore” Film- und Serienfreaks gerichtet, die man in speziellen User Groups, Bulletin Boards und Web Foren ansprechen konnte. Oft spielt dabei auch klassisches Content Marketing eine Rolle. Leo Widrich, Gründer des führenden Social Media Tools Buffer hat mehr als 150 Posts für verschiedene Branchen-Blogs geschrieben und so Schritt für Schritt Interesse für sein Tool aufgebaut.

3. Einladung von Freunden

Von einem Freund zu einer neuen App oder Community eingeladen zu werden, ist meist kein schlechter Einstieg. In der Regel schauen sich Nutzer ein solche Angebote zumindest mal genauer an. Oft ist dies auch in einer frühen Phase einer Beta-Version mit einer gewissen Exklusivität verbunden. Wer stellt seinen Freunden nicht gern die nächste spannende App vor?!

Apps wie Lyft oder Pinterest, Plattformen wie Yelp oder Quora und auch Facebook haben sich am Anfang über eine einfache virale Word-of-Mouth Mechanik verbreitet. Oft war die Möglichkeit Nutzer einzuladen zentraler Teil des “User Flows”. Dabei haben “soziale” Apps, die einen Mehrwert durch die Verbindung zwischen Nutzern schaffen (via Chat, Kommentar, User-Generated Content) einen klaren Vorteil. Sie bieten viel Potenzial, dass Nutzer selbst zu kostenlosen Werbeträgern werden.

Das Prinzip funktioniert übrigens genauso gut im Bereich B2B: Slack und LinkedIn haben am Anfang auf die Verbreitung des eigenen Produkts im Bekannten- und Freundeskreis gesetzt.

We begged and cajoled our friends at other companies to try it out and give us feedback. We had maybe six to ten companies to start with that we found this way.

Stewart Butterfield, Founder Slack

4. FOMO, um Aufmerksamkeit und Neugier zu wecken

Ein besonders effektiver Markteintritt gelingt vielen Apps durch künstliche Verknappung. Dies ist ein altes, aber bewährtes Prinzip Aufmerksamkeit und Neugier zu wecken.

Um dieses glaubwürdig nutzen zu können, sollte man sich zu Beginn drei Fragen stellen (oder vielleicht noch besser: sein Produkt ganz bewusst in diesem Sinne konzipieren):

  1. Basiert das Produkt mindestens zum Teil auch auf nutzergenerierten Inhalten? Dann ist es wichtig, dass die ersten Nutzer, die Inhalte kuratieren für einen attraktiven Content-Stream sorgen.
  2. Verfügt man über ein Neugierig machendes, kommunikativ starkes Leistungsversprechen? Denn nur wenn man hier viel zu bieten hat, macht bspw. so etwas wie eine Warteliste Sinn.
  3. Gibt es einen viralen Effekt dahingehend, dass bestehende Nutzer weitere Nutzer bzw. Freunde einladen würden? Und wenn ja, wie würde dies die Attraktivität für die Nutzer konkret steigern? Warum sollten die Nutzer das machen?

Ein beeindruckendes Beispiel ist die gerade angesagte App Clubhouse. Diese gibt es bislang nicht im App Store, sie wurde nur über einen iOS Testflight Link verbreitet. Dabei haben die Macher laut Todd Goldberg auf vier Dinge besonders Wert gelegt:

  • Attraktiver, handverlesener Nutzerkreis (Invite-only)
  • Absolute Exklusivität (erzeugt Fear-Of-Missing-Out), nur wenige Nutzer haben Zugang bekommen
  • Schnelles Iterieren mit neuen Versionen, Verbesserungen und Features (vorbei am trägen App Store Freigabe Prozess)
  • Top Referenzen der bekannten Nutzer über Twitter und andere Soziale Medien

Die virale Verbreitung über bestehende Netzwerke war bspw. auch der Schlüssel zum erfolgreichen Launch von Instagram. Gezielt haben sich die Gründer damals Twitter-Influencer mit einer großen Follower-Zahl und einer Affinität zu Fotografie und Design an Bord geholt.

And because they shared to Twitter, it created this tension, of like “When is this thing launching, when do I get to play with it?” and that’s the day when we actually launched, it had that springboard affect.

Kevin Systrom (Instagram)

Auch das heute noch erfolgreiche Social Network Pinterest war zunächst einmal ein “Invite-Only” Angebot, welches sich gezielt an design-affine Blogger gerichtet hat. Genauso Spotify – Mitglied werden konnte man nur per Einladung.

Ein Gradmesser für das Interesse am eigenen Leistungsversprechen, ist dabei oft die Warteliste. Um so länger und größer diese ist, desto spannender wird das Angebot erwartet.

Meet Mailbox, the app with an 800,000 strong waiting list ...

Mailbox, die Email App für´s iPhone hatte damals eine Warteliste mit ungefähr 700.000 Nutzern, die Zugang zur Beta-Version wollten. Dabei gab es erstmal nicht mehr als eine einfache Website. Auch andere zur Zeit “gehypte” Start Ups wie Superhuman oder Robinhood haben mit einem starken Leistungsversprechen schon vor dem eigentlichen Launch viele treue Nutzer um sich versammelt (und damit verbunden oft auch viel Venture Capital).

5. Influencer als Multiplikatoren

Die richtigen Influencer dazu zu bringen über das eigene Angebot zu sprechen, dieses ins Gespräch zu bringen, kann versehen mit dem richtigen Timing im wahrsten Sinne des Wortes Gold wert sein und mehr für die eigene Reichweite tun als eine bezahlte Werbekampagne.

In die Auswahl und die persönliche Ansprache der passenden Influencer investieren viele Gründer daher zu Beginn viel Zeit. Ein Artikel von Om Malik im Jahr 2006 hat maßgeblich zum damaligen Hype um Twitter beigetragen. Dabei geht es weniger um die Quantität, also die Qualität der Nutzer. Und natürlich um den ersten Eindruck des Produkts selbst. Nur wer schnell Eindruck hinterlässt, kann auch auf einen viralen Effekt hoffen.

Noch heute raunt man im Silicon Valley, dass niemand sonst als Jack Dorsey, der Twitter Gründer und CEO, der beste “Verkäufer” für Instagram war. Er war so angetan von der neuen App, dass er sie sogar einem eigenen Investment (einer ähnlichen App namens “Burbn”) vorgezogen hat. Als Instagram dann offiziell erschien, war die App direkt Nummer 1 in den Apple App Store Download-Charts.

Die Ansprache der Influencer kann man ideal mit einem guten, ersten Artikel in einem führenden Blog verknüpfen. Producthunt hat mit der ersten Presse in Blogs wie FastCo oder PandoDaily führende Köpfe per Email angeschrieben und bekam so viel kostenlosen Support.

Dies bringt uns zum nächsten Punkt.

6. Gute Presse

Jeder wünscht sich zum Start viel gute Presse, d.h. Artikel in führenden Medien, die erstens positiv sind und zweitens eine relevante Reichweite in der eigenen Zielgruppe generieren. Dabei ist die Planung des eigenen “Pitches” der wichtigste, erste Schritt. Nur ein attraktiver Pitch schafft es in die richtigen Medien und erzeugt Resonanz bei führenden Journalisten.

Dabei spielt immer auch das richtige Timing eine Rolle. Die neue Email-App Superhuman bspw. hat sich in dem Moment präsentiert als eine andere gehypte Email App (die oben erwähnte App Mailbox) gerade eingestellt wurde. Das Timing war perfekt und das Presseecho gross.

Auch das Gründerteam selbst ist immer ein wichtiges Thema. Slack bspw. hat dies geschickt genutzt und sich vor allem auch über klassische Medien zu Beginn verbreitet.

Eine gute Story ist der Schlüssel zu guter PR.

7. Der Aufbau einer eigenen Community

Eine engagierte Community rund um das eigene Produkt bzw. die eigene App, ist aus verschiedenen Gründen viel Wert. Man bekommt schnelles, ehrliches und gutes Feedback von Nutzern, welches gerade zu Beginn unglaublich wichtig ist. Und man kann die Community – wie oben beschrieben – selbst zur Influencer-Kommunikation in Sozialen Medien oder sogar als direkten Vertriebskanal zum Einladen weiterer Nutzer nutzen.

Auch hier gilt zu Beginn: was zählt ist weniger die Quantität als die Qualität. Eine kleine, attraktive Community zieht schnell weitere Nutzer an. Ein großer, aber wenig engagierter Nutzerkreis, hat dagegen kaum einen viralen Effekt.

Producthunt war zu Beginn eine einfache Mailing-Liste. Als die erste Beta-Version fertig war, haben die Nutzer der Liste exklusiven Zugang bekommen und konnte das Ganze testen. Durch Zugang zu einer vielversprechenden Beta-Version fühlen sich viele Nutzer “gebauchpinselt”. Gerne gibt man Feedback, wenn man zum ersten Kreis exklusiver Nutzer zählt.

Zusammenfassung

Im Rahmen der Strategieentwicklung zur Einführung einer eigenen Consumer App kann man sich gut an folgenden Fragen orientieren:

  1. Welche Zielgruppe spricht man damit genau an – und wo trifft man diese offline?
  2. Wie sehen die Early User des Angebots aus und wo trifft man diese online?
  3. Verfügt man über ein eigenes Netzwerk bzw. einen eigenen Freundeskreis, der sich für die App interessieren könnte? Wenn ja, wie und wann kann man diese einladen und involvieren?
  4. Lebt die App auch von nutzergenerierten Inhalten und Beiträgen?! Wenn ja, wie kann man sicherstellen, dass diese zu Beginn relevant und interessant sind für weitere Nutzer?
  5. Wie stark ist das eigene Leistungsversprechen? Wenn es attraktiv genug ist, warum nicht mit einer Warteliste und begrenzten Invites arbeiten?
  6. Bietet das Produkt selbst eine soziale Logik und Funktion, die es spannender macht, wenn man es gemeinsam mit Freunden nutzt? Wenn ja, wie kann man Freunde zu App-Botschaftern machen in dem sie selbst weitere Freunde einladen?
  7. Wer sind attraktive Influencer für die eigene App und Zielgruppe? Und wie kann man diese für das Angebot interessieren oder sogar dazu bringen es zu teilen bzw. darüber positiv zu sprechen?
  8. Wie sieht ein frischer, attraktiver Pitch für die relevanten Medien und passende Journalisten aus? Was könnte die Medien konkret dazu bringen über die eigene App zu schreiben?
  9. Wie kann man schon in der Beta-Phase eine Community rund um die eigene App aufbauen? Eine Community, die stark genug ist, um später auch aus ihr heraus zu wachsen.