Krieg in der Ukraine: wie es unseren Kollegen dort geht und wie wir bei tchop damit umgehen

Wie einige unserer Kunden und Partner vielleicht wissen, arbeiten wir seit Jahren unter anderem mit festen und freien Mitarbeiter*innen in der Ukraine. Aus geschätzten Kolleginnen und Kollegen wurden Freunde mit denen wir einen regen Austausch pflegen und als Team regelmäßig in Berlin waren (bevor dies durch die Corona-Pandemie in den letzten zwei Jahren schwierig wurde). Aus Dienstleister*innen wurden Partner*innen, die uns nicht nur bei der Umsetzung, sondern auch bei der Planung von Aufgaben und Projekten tatkräftig und kompetent unterstützen. Auch zu den ehemaligen Mitarbeiter*innen halten wir noch viele enge Kontakte. Das Land ist uns über viele, viele Jahre sehr ans Herz gewachsen.

Als am frühen Morgen des 24. Februar die ersten Meldungen vom Angriff Russlands auf die Ukraine über die Ticker gingen, waren wir geschockt und voller Sorge. Die nächsten Tage (und auch Wochen) werden wir so schnell nicht vergessen, denn es war in vielerlei Hinsicht eine neue Erfahrung. Krieg in Europa, Krieg gegen so enge Freunde – wer hätte das für möglich gehalten?

Ein unfassbares Verbrechen

Schon weit vor dem offenen Ausbruch des Krieges haben wir viel mit unserem Team über die Situation kommuniziert, Gefahren und potentielle Risiken diskutiert und mögliche Maßnahmen abgestimmt. Wir haben allen angeboten nach Berlin zu kommen und zumindest zeitweise oder auch dauerhaft von hier zu arbeiten. Das gesamte Team war ja über die letzten Jahre regelmäßig in Berlin und hatten so bereits eine konkrete Option. Allerdings haben viele abgewunken und die russischen Drohgebärden für einen “Bluff” gehalten. Fast niemand hat wirklich damit gerechnet, dass die Situation so dramatisch eskalieren könnte. Als es dann doch so kam, war es für die Jungs im Team dann leider nicht mehr möglich auszureisen.

Für unsere Kunden ist es dabei wichtig zu wissen, dass wir organisatorisch und technisch vorbereitet waren. Betrieb und Entwicklung waren und sind nie gefährdet gewesen, zumal wir auch mit anderen Entwicklern und Partnern außerhalb der Ukraine arbeiten. Die Plattform läuft auf einem cloud-basierten System in Deutschland, welches davon ohnehin nicht betroffen ist. Verantwortlichkeiten sind auf verschiedene Schultern verteilt, so dass immer notwendige Ressourcen für Notfälle zur Verfügung stehen.

Dennoch müssen wir aktuell unsere Entwicklungskapazität etwas agiler planen, sind aber was die Ziele der Plattformentwicklung angeht, im “Soll”. Dank der Einsatzbereitschaft des Teams in der Ukraine sind wir bereits wieder in einem “normalen Arbeitsprozess”. Der Großteil des Teams hat sich in der Zwischenzeit im Westen der Ukraine so weit es geht arrangiert und arbeitet von dort im normalen Rhythmus.

Die Sorge unsererseits gilt den Menschen, den Schicksalen, der Sicherheit und Gesundheit ihrer Familien. Darum wollen wir hier – nun mit etwas Abstand – nach vier traurigen Wochen Krieg berichten.

In ständigem Kontakt

Am Morgen des 24.02. war die Lage zunächst unübersichtlich. Mit den meisten Kollegen waren wir schnell via Chat im Austausch, wobei auch deren Reaktionen unterschiedlich waren. Einige machten sich – auch weil sie doch in gewissem Maße vorbereitet waren – auf den Weg Richtung Westukraine. Andere haben sich zunächst, um Ihre Familien und Freunde gekümmert, wollten bleiben und abwarten. Alle waren schockiert und konnten nicht glauben was passiert war, wohlwissend was dies für ihr Land bedeuten würde.

Die Tatsache, dass die Internetverbindung in der Ukraine bis heute gut funktioniert, führt dazu, dass wir hier gefühlt “nah dran” sind, schnell Feedback bekommen, aber auch Teil haben können an den Ängsten, Nachrichten, Perspektiven und dem Grauen aus dem Land selbst. Außerdem muss man zugeben, dass die Fortsetzung der eigenen alltäglichen Arbeit unter diesen Bedingungen in den letzten vier Wochen nicht immer leicht war.

Unterschiedliche Bedingungen

Man muss wissen, dass wir mit Kollegen in unterschiedlichen Teilen der Ukraine arbeiten. Die meisten kommen aus Kharkiv oder Saporischschja. Während die Lage in Saporischschja bis heute einigermaßen ruhig und sicher ist, war schnell zu befürchten, dass die Lage in Kharkiv kritisch wird. Die Stadt liegt keine 30km von der russischen Grenze.

Zwei sehr geschätzte Kollegen sind aus unterschiedlichen Gründen in Kharkiv geblieben. Bei einem spielte vor allem die Sorge um die eigenen Eltern mit, er wollte diese nicht alleine lassen und ihnen auch keine Reise quer durchs Land zumuten. Eine Reise, die schon in den ersten Tagen des Krieges mit viel Unsicherheiten behaftet war. Schnell war zu befürchten, dass die Situation dieser beiden besondere Sorgen bereiten wird.

Glück im Unglück

Am Sonntag abend, dem 27.02. gab es einen längeren Chat Austausch mit Victor, einem unserer Software-Entwickler. Er war mit Freundin und Freunden in Kharkiv geblieben. Am nächsten Morgen dann auf einmal die Nachricht: er ist im Krankenhaus! Eine Bombe ist neben seinem Schutzraum eingeschlagen und die geborstenen Fensterscheiben haben beide Beine verletzt. Er wurde in ein Krankenhaus 30km ausserhalb Kharkiv gebracht und dort operiert.

Zum Glück bekamen wir schnell die Entwarnung, dass es ihm den Umständen entsprechend gut geht. Es werden keine bleibenden Schäden bleiben. Schon Montag mittag schickte er uns dieses Foto mit einer kurzen, humorvollen Nachricht. Victor ist ein sehr witziger, immer zum scherzen aufgelegter Kollege.

Er ist mittlerweile im Westen der Ukraine in gewisser Sicherheit. Es geht ihm besser und wir planen gerade seinen Transfer nach Berlin. Er hilft – neben der Arbeit, die er tatsächlich schon wieder aufgenommen hat – wie viele seiner Freunde und Kollegen, so gut es geht beim Support für Menschen in der Ostukraine. Und wenn Zeit bleibt beteiligen sich die Software-Entwickler natürlich auch am Cyberkrieg gegen russische Websites und Regierungsstellen. Im Krieg wird jeder Entwickler auch zum “Hacker”.

Im Übrigen: Sogar die Berliner Morgenpost hat über unseren Fall und Victor berichtet. Den M+ Artikel gibt es hier.

In großer Sorge

Momentan ist nur noch ein Kollege in Kharkiv verblieben. Um diesen machen wir uns jedoch größte Sorgen. Er verweilt mit seinen Eltern nun bereits seit fast drei Wochen die meiste Zeit im Keller des eigenen Wohnhauses. Die Stadt wird praktisch nonstop bombardiert. Das Büro von dem aus er gearbeitet hat, is komplett zerstört.

Seine Nachrichten sind herzzerreissend. Er hat zum Glück frühzeitig Vorräte angelegt, aber niemand weiss wie lange der Beschuss weitergeht. Die Ukrainer haben keinerlei Vertrauen in russische Fluchtkorridore oder entsprechende Regelungen. Es fehlt an Medizin und jeder Gang nach draussen ist lebensgefährlich. Die Situation ist absolut furchtbar.

Unsere Gedanken sind mit ihm, jeden Tag. Und wir hoffen sehr, dass es bald zu einer Feuerpause kommt, einer Lösung dieses Konflikts. Besonders in diesen Regionen hat bereits eine humanitäre Katastrophe eingesetzt.

Helfen in Berlin

Am schlimmsten war und ist für uns alle die Hilflosigkeit, besonders hinsichtlich der Situation unseres Freundes und Kollegen on Kharkiv. Es bleibt nicht mehr als ihm immer wieder Mut zu zusprechen, wenn wir mit ihm chatten – und das tun wir fast täglich.

Für uns war daher schnell klar, dass wir uns im Rahmen unserer Möglichkeiten vor allem hier vor Ort, in Berlin schnell und intensiv engagieren müssen. Die Welle der Solidarität und Hilfsbereitschaft ist nicht nur in Berlin grossartig. Alle helfen mit: Unterbringung von Familien, die in Berlin ankommen. Vermittlung von Wohnungen für ein paar Tage oder für den dauerhaften Verbleib. Kontakte zu anderen Ukrainern, die bei der Übersetzung helfen. Freunde von Freunden, die spontan Hilfe oder Ratschläge brauchen.

Dies war und ist ein guter Weg, um einen Beitrag zu leisten. Und ich denke es ist absehbar, dass die Herausforderungen, die dort auf uns als Gesellschaft zukommen, erheblich sind. Je nach Kriegsverlauf könnten es laut Experten bis zu 20 Millionen Flüchtlinge werden.

Ein Funken Hoffnung

Besonders für unseren Kollegen in Kharkiv, hoffen und beten wir zumindest für eine zeitnahe Feuerpause. Eine Pause, die es ermöglicht Zivilisten zu evakuieren und zu versorgen. Hier geht es im Wahrsten Sinne des Wortes um Leben und Tod.

Niemand hätte Gedacht, dass wir dies so nah in unserem Umfeld erleben würden. Um so mehr trifft es uns alle, wenn ein so europafreundliches, ein so spannendes Land voller kreativer, gebildeter, stolzer junger Leute angegriffen wird mit dem Ziel es de facto zu vernichten.

Wie gesagt: An der Sicherheit, dem Betrieb und der weiteren Entwicklung unserer Plattform ändert dies nichts. Natürlich ging in den letzten Wochen das ein oder andere interne Meeting, die eine oder andere Abstimmung “verloren”. Oft waren die Gedanken woanders, ging es um internen Austausch um den Krieg und konkrete Fragen wie wir helfen können. Aber wir denken, dass man dies in solchen Zeiten akzeptieren sollte, akzeptieren muss.

Sollten Sie Fragen haben zum Stand und zur Situation, sprechen Sie uns gerne jederzeit an. Wir berichten gerne weitere Hintergründe. Ansonsten bleibt zum Ende nur der Appell an jeden Einzelnen den vielen Kriegsflüchtigen (momentan ja vor allem Frauen und Kinder) zu helfen wo und wie es nur geht.